Es ist eines der auffälligsten Gebäude Münchens: der Justizpalast am Stachus. Sein Schöpfer, der Professor Friedrich von Thiersch von der späteren Technischen Universität München (TUM), prägt die Stadt in der Prinzregentenzeit und schafft auch in weiteren deutschen Städten spektakuläre Bauten. Der Architekt setzt dafür neueste Bauweisen und Technologien ein.
Der Justizpalast, das Bernheimer-Palais, mehrere Isar-Brücken und weitere markante Gebäude und Denkmäler in München stammen von ihm: Der Architekt Friedrich von Thiersch gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des Späthistorismus. In dieser Architekturepoche werden Bauformen vergangener Epochen phantasievoll übernommen.
Thiersch ist immer auf dem neuesten technischen Stand und konzipiert für seine Bauten Zentralheizungen, Fahrstühle oder Lüftungssysteme. Zudem versteht er es, „in neuer und unerhörter Weise die Elemente verschiedenartiger Stilperioden zusammenzuschweißen und, auf dem Alten aufbauend, lebensfähiges Neues hervorzubringen“. So charakterisiert Thiersch zwar eigentlich seinen Kollegen Paul Wallot, den Erbauer des Berliner Reichstags. Auf ihn selbst trifft das allerdings genauso zu.
An die spätere Technische Universität München kommt Thiersch 1879 als Professor für Höhere Baukunst. Trotz dieser zeitintensiven neuen Aufgabe hört er nicht auf, gleichzeitig mehrere Bauprojekte zu leiten. Unter ihm steigt seine Abteilung vor dem Ersten Weltkrieg zur berühmtesten Architekturschule im Kaiserreich auf. Für die TUM baut Thiersch auch eines ihrer Wahrzeichen: den markanten, kupferverkleideten Uhrenturm an der Gabelsbergerstraße, der heute den Namen seines Erbauers trägt.
Thiersch verschlägt es 1886 beinahe nach Berlin: Die Technische Hochschule Charlottenburg will den Professor aus München abwerben – und der ist durchaus interessiert. Doch durch einen staatlichen Großauftrag kann der Architekt in München gehalten werden: Prinzregent Luitpold setzt sich persönlich dafür ein, dass Thiersch den neuen Justizpalast baut. Nach sieben Jahren Bauzeit wird er 1897 eingeweiht und steckt voller neuartiger Technik wie etwa einer Dampfzentralheizung und elektrischem Licht. Die freitragende Glas-Eisen-Kuppel, die sich in über 60 Metern Höhe über den Lichthof spannt, ist noch heute beeindruckend. Doch vor allem Thierschs Mut wird gelobt, ein so wichtiges Gebäude im Barockstil zu errichten.
Schon seit seiner Schulzeit entwickelt Thiersch einen eigenen, charakteristischen Stil. Dafür stellt er sogar seine Handschrift radikal um: „Da ist auf einmal die bisherige liegende, durch nichts besonders auffallende Schrift verschwunden und jene senkrecht steile Schreibart mit zierlich gewundenem Schnörkelschwung der überstehenden Buchstaben dafür eingetreten, die von nun an bleiben sollte“, berichtet später sein Neffe Hermann. Ideen für viele seiner Werke sammelt Thiersch später auf einer zweijährigen Bildungsreise durch Italien und Griechenland. Dort studiert er eingehend die antiken Kunstwerke und besucht unter anderem die von deutschen Forschern geleiteten Ausgrabungen in Olympia.
Um 1900 wächst die spätere TUM so stark, dass sie mehr Platz in der Münchner Maxvorstadt braucht. Deshalb bekommt Friedrich von Thiersch ab 1907 den Auftrag für den ersten größeren Erweiterungsbau der Universität an der Gabelsberger- und Luisenstraße. Bei der Planung denkt Thiersch bereits an spätere Anforderungen: Er ermöglicht eine flexible Nutzung, indem er die Stahlbetondecken mit Stahlträgern verstärkt. So können jederzeit Wände herausgenommen und an anderer Stelle neue eingebaut werden. Die Krönung des 1916 fertig gestellten Komplexes ist der 37 Meter hohe Uhrenturm, heute das Wahrzeichen der TUM. Die Räume darin werden lange Zeit für physikalische Forschung und von der studentischen Fliegergruppe AKAFLIEG genutzt. Im April 2018 eröffnet die TUM im Thiersch-Turm das Klaus-Tschira-Forum, einen repräsentativen Veranstaltungsraum hoch über der Stadt. Den aufwändigen Umbau fördert die Stiftung des Unternehmers und Physikers Klaus Tschira.
„Friedrich von Thiersch war einer der bekanntesten und berühmtesten Architekten seiner Zeit in München und Deutschland. Er beeinflusste die bauliche Entwicklung der Landeshauptstadt in der Prinzregentenzeit entscheidend. Ihm und den gleichzeitig wirkenden namhaften Kollegen verdankte München seinen Ruf als Kunststadt.“
Zitat von Horst Karl Marschall, Architekt und Biograf Friedrich von Thierschs